hero konsumbefreiung

Wir leben in einer Gesellschaft, die suggeriert, Zufriedenheit sei stark an materiellen Wohlstand gekoppelt. Im Hinblick auf schwindende Ressourcen und soziale Ungerechtigkeit bei der Produktion von Gütern* ist der etablierte Lebensstandard ein Konsum über den Verhältnissen. Der Erdüberlastungstag ist dieses Jahr in Deutschland auf den 4. Mai gefallen. Dieser Tag markiert den Zeitpunkt, an dem die jährlich nachhaltig nutzbaren Ressourcen vollständig aufgebraucht sind. Im Jahr 2020 erlebten wir jedoch eine Verschiebung dieses Tages auf den 22. August. Im folgenden Absatz wird klar, dass die Pandemie starke Auswirkungen auf diese Entwicklung hatte.

Die Kohlenstoffemissionen sinken simultan zum Konsumrückgang
Aufgrund von Liefer- und Produktionsschwierigkeiten legte die Corona-Pandemie die Weltmärkte lahm. Unter diesen Umständen konnte ein Konsumrückgang von rund 5 % verzeichnet werden. Folglich war ein deutlicher Rückgang von CO₂-Emissionen messbar. Das niedrige Verkehrsaufkommen hatte unmittelbaren Einfluss auf die Luftqualität. Der schwindende Tourismus ließ die Kanäle in Venedig klar werden, sodass der Bodengrund sichtbar wurde. Die Sicht in den Städten klarte auf und die Sterne waren nachts deutlicher zu erkennen.
Der Rückgang der wirtschaftlichen Aktivitäten hat sich direkt in einer besseren CO₂-Bilanz widergespiegelt. Sobald sich die Vermarktung von Gütern beschleunigt, wird mehr Kohlenstoffdioxid in der Luft gemessen. Unter diesen Umständen ist es aktuell nahezu unmöglich, ein rundum grünes Wachstum zu erleben. Denn je mehr konsumiert wird, desto höher sind die Emissionen.

Ein kurzer Blick auf die moderne Konsumkultur
Die Konsumausgaben sind seit 1991 pro Haushalt in Deutschland stetig gewachsen, wie Abbildung 1 zu entnehmen ist. Laut statistischem Bundesamt (destatis) besitzt allein in Deutschland jede Person um die 10 000 Gegenstände. Im Vergleich dazu sind vor 100 Jahren die Haushalte noch mit 180 Gegenständen ausgekommen. 

In Abbildung 2 wird der CO₂-Ausstoß einer durchschnittlichen Person (laut destatis 9 Tonnen pro Kopf jährlich, Stand 2019) ins Verhältnis mit dem Konsumverhalten gesetzt. Allen voran sind Konsumgüter mit 38 % am schwerwiegendsten. Alltagsgegenstände wie Uhren, Kleidung und elektronische Geräte besitzen alle einen CO₂-Fußabdruck, der vor allem bei der Produktion entsteht. Bei der Verwendung selbst kleiner, scheinbar nebensächlicher Artikel wird ebenfalls CO₂ freigesetzt. Beispielsweise elektrische Zahnbürsten, die in 40 % der deutschen Haushalte zu finden sind. Ohne den Ausstoß bei der Produktion mit einzuberechnen, gehen täglich 72 Gramm Kohlenstoffdioxid auf das Konto der kleinen Alltagshelfer, allein durch den Energieaufwand der Nutzung. Diese Art des Konsumierens entsteht mehrmals täglich – vornehmlich unterbewusst – und kumuliert sich im Verlauf des Tages. Konsum beschreibt laut Bundeszentrale für politische Bildung „die Inanspruchnahme von Gütern und Dienstleistungen zur unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung durch private oder öffentliche Haushalte“.

Dazu gehört auch die Mobilität, die einen Anteil von 19 % am CO₂ Ausstoß hat (siehe Abb. 2). Bei der Produktion eines durchschnittlichen Fahrzeugs von 1,5 Tonnen werden 70 Tonnen Materialien und Ressourcen verbraucht. Je nachdem, wie lange das Vehikel im Verkehr bleibt, sind über die Jahre 15-20 % der gesamten CO₂-Emissionen allein bei der Herstellung des Fahrzeugs entstanden. Pendelnde mit insgesamt 40 km Arbeitsweg pusten jährlich 1,2 Tonnen Kohlenstoffdioxid in die Atmosphäre. Bei einem Pro-Kopf-Ausstoß von 9 Tonnen CO₂ in Deutschland ist das eine erhebliche Menge für einen Menschen.

Die Wahl der Ernährung mit 15 % Anteil spielt ebenfalls eine signifikante Rolle. Besonders Fleisch steht hier in der Kritik. Zu beachten ist hierbei, dass selbst das lokale Kaufen von Fleischprodukten hinterfragt werden muss. Laut einer Datenerhebung von „Our world in data” werden bei der Rindfleischproduktion (18 Kilo CO₂ Emissionen pro Kilo) lediglich 0,5-2 % der Emissionen von dem Transport und der Verpackung verursacht. Die restlichen Emissionen werden bei der Haltung und der Versorgung der Tiere freigesetzt. 

Das Heizverhalten in den Privathaushalten schlägt mit 15 % ebenfalls hoch ins Gewicht. Wenn die Heizkörper weniger aufgedreht werden und dafür ein Pullover angezogen wird, kann das allein schon Entlastung für die Umwelt und den Geldbeutel bedeuten. Genaueres erfahren Sie in unserem Fachartikel „Darf's etwas weniger sein?“ auf Seite 8. Dort wird an einem Beispielmodell untersucht, welchen Effekt der moderate Verzicht von Komfort beispielsweise auf den Primär-Energieverbrauch für das Heizen hat.

INNOVATION HAT IHRE GRENZEN
Laut einer Umfrage von Bitkom Research erhofft sich die Hälfte der Deutschen, dass die Klimaproblematik mit technischer Innovation gelöst werden kann. Grüne Technologien sind auf dem Vormarsch in Form von Elektroautos, Wind- und Sonnenenergie, sowie Bio-Lebensmittel. Der Umweltjournalist J. B. MacKinnon beschreibt in seinem Buch „Der Tag, an dem wir aufhören zu shoppen” den Sachverhalt so: „Tatsächlich wurde die Effizienz unserer Ressourcennutzung seit der Jahrtausendwende insgesamt geringer, während die Geschwindigkeit, mit der wir Ressourcen verbrauchen, zugenommen hat. [...] Was wir bisher getan haben, um unseren Konsum umweltfreundlicher zu machen, konnte nicht mit dem Wachstum unseres Konsumappetits Schritt halten.“ Von diesem Standpunkt ist also vorerst nicht davon auszugehen, dass wir in naher Zukunft die Probleme einer Konsumgesellschaft mit technischen Mitteln kompensieren können, ohne dabei unseren Lebensstil zu ändern. 
Der Rebound-Effekt kann zudem die gute Absicht hinter grünen Konsumgütern sabotieren. Betrachten wir in diesem Beispiel Haushaltsgeräte. Vor drei Jahrzehnten waren Küchengeräte längst nicht so energieeffizient wie heute, doch besaßen wir damals auch deutlich weniger Küchenhelfer. Einfach gesagt wird die Energie, die an der einen Stelle gespart wird, woanders wieder ausgegeben. So ist der Strombedarf auch nach der Einführung von energieeffizienten Geräten oder Produkten weiter gestiegen.

Kauf dich glücklich – was Werbung mit uns macht
Gewohnheiten wie das Konsumverhalten sind schwer zu ändern und werden beispielsweise aus dem Elternhaus übernommen, ohne hinterfragt zu werden. Äußere Faktoren, wie die willkürlichen Reize der Werbebranche und digitaler Medien im Allgemeinen  erschweren es, unser Verhalten zu ändern. Der amerikanische Linguist Noam Chomsky, einer der ältesten Intellektuellen unserer Zeit, konstatiert „Wenn Sie jemals Ihren Fernseher eingeschaltet haben, wissen Sie, dass Hunderte von Millionen Dollar ausgegeben werden, um uninformierte Verbraucher zu schaffen, die irrationale Entscheidungen treffen – das ist es, was Werbung ist.“ 

Wir bewegen uns in einer komplizierten Umwelt, die ständig mit Werbung dazu ermutigt, zu konsumieren. Dabei zeigt Werbung nur das, was wir nicht haben und lässt den potenziellen Konsumierenden mit einem vornehmlich schlechten Gefühl zurück. Vor allem im öffentlichen Raum ist Außenwerbung unübersehbar und kann nicht überhört oder ausgeschaltet werden.

Ein Künstlerkollektiv aus London namens „Glimpse“ erschuf den „Citizen Advertising Takeover Service“ (CATS). Diese Aktion hatte zum Ziel, einen öffentlichen Raum zu schaffen, in dem wir uns wohlfühlen können. Zu diesem Zweck wurden Plakatwände in Londoner U-Bahn-Stationen angemietet. Das Ergebnis kann der Abb. 3 entnommen werden: Lauter Katzen schauen den geschäftig vorbeischreitenden Menschen entgegen. Die CATS-Aktion zog die Aufmerksamkeit neugieriger Pendelnder und Besuchender auf sich und die Menschen kamen zufällig ins Gespräch. Eine U-Bahn-Station entpuppte sich für die Zeit der Aktion als ein Raum der Begegnungen.

Stärkung der Konsumkultur
Die bewusste Verkürzung der Lebensdauer eines Produkts wird als „geplante Obsoleszenz“ bezeichnet. Diese Strategie wenden Unternehmen an, um den Kaufzyklus von Produkten zu verkürzen. Damit kommt es zu steigenden Absätzen und einer wachsenden Wirtschaft, die keinen Stillstand erleidet, da der Markt nie gesättigt werden kann. Dieser Trend entspringt auch der Nachfrage der Konsumierenden, die auf Schnäppchenjagd sind. Aufgrund dessen werden Produkte mit preisgünstigen, weniger haltbaren oder gar minderwertigen Materialien fertiggestellt, was mit einer kürzeren Lebensdauer einhergeht. 

Ein bekanntes Gegenbeispiel von einem sehr haltbaren Produkt ist eine besondere Glühbirne, die Ende des 18. Jahrhunderts produziert wurde. Diese ist stattliche 120 Jahre alt und beleuchtet immer noch eine Feuerwache in New York. 

Konsum, nein danke?
Dem Konsum in unserer Gesellschaft komplett abzuschwören ist ein ambivalentes Unterfangen. Wir konsumieren schließlich zu jeder Zeit, sei es Luft oder ein gutes Essen. Aber wir haben Kontrolle darüber, was wir weit über unsere Grundbedürfnisse hinaus verbrauchen. Eine Gegenbewegung zur etablierten Konsumkultur existiert bereits. Menschen, die sich vom Überkonsum abkehren und der Einfachheit verschreiben, zeigen, dass eine Konsumbefreiung möglich sein kann. Dieser Lebensstil zeichnet sich durch den bewussten und maßvollen Umgang mit Gütern aus. Der Druck des übermäßigen Kaufens verschwindet, sodass vermehrt auf die eigenen Bedürfnisse geachtet werden kann. Wer schon mal im Zuge einer größeren Anschaffung das Objekt der Begierde ausgiebig recherchierte und unterschiedliche Optionen verglich, wird gemerkt haben, dass Konsum „Arbeit“ ist – zusätzlich zum Beruf.

Laut Schätzungen des Umweltbundesamts müsste der Ausstoß pro Kopf von 9 Tonnen auf 2 Tonnen sinken, um die Erderwärmung aufzuhalten. Ein übersichtlicher Konsum wäre eine direkte und umsetzbare Maßnahme, um den eigenen ökologischen Fußabdruck zu verkleinern und dem Klimawandel aktiv entgegenzuwirken.  




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