Kurt Saygin zu Besuch in Aachen bei LINEAR

Sehr geehrter Herr Saygin, wir freuen uns, Sie hier in Aachen begrüßen zu dürfen und dass Sie persönlich als Vorstandsvorsitzender von Ingenieure ohne Grenzen e. V. hier den Spendenscheck der LINEAR GmbH entgegengenommen haben.
Vielen Dank, dass ich hier sein darf. Ich habe mich natürlich auch sehr gefreut. Es ist die zweithöchste Einzelspende in der Geschichte der Ingenieure ohne Grenzen. Wir sind sehr stolz darauf, dass uns so viel Vertrauen entgegengebracht wird. Und wir bedanken uns recht herzlich bei der LINEAR GmbH für diese wirklich großzügige Spende.

Können Sie uns kurz die Schwerpunkte der Arbeit von Ingenieure ohne Grenzen erklären?
Ingenieure ohne Grenzen macht hauptsächlich Entwicklungszusammenarbeit. Das heißt, wir sind auf langfristige Projekte ausgelegt, wo das Leben der Menschen nachhaltig verbessert werden soll. Wir sind nicht in Kriegs- und Krisengebieten unterwegs, sondern primär in Gebieten, die von großer Armut geprägt sind und versuchen, dort die Lebensbedingungen zu verbessern.

Sie haben ein Motto bei Ingenieure ohne Grenzen e. V. Was steht hinter dem Motto „Wir bauen zusammen“?
#wirbauenzusammen ist ein Hashtag. Wir bauen die geplanten Konstruktionen zusammen mit unseren lokalen Partnern vor Ort. Das „zusammen Bauen“ drückt die gleiche Augenhöhe aus, mit der wir an Projekte herangehen und diese auch gemeinsam umsetzen.

Was unterscheidet die Arbeit von Ingenieure ohne Grenzen gegenüber anderen Organisationen in der Entwicklungszusammenarbeit?
Grundsätzlich wäre das der Schwerpunkt auf das Ehrenamt bei Ingenieure ohne Grenzen. Wir werden nicht bezahlt. Auch die gestandenen Ingenieurinnen und Ingenieure mit viel Berufserfahrung machen das in ihrer Freizeit, in ihrem Urlaub oder während eines Sabbaticals. Das hat zwei Effekte zur Folge: erstens ein durch intrinsische Motivation entstandener Drang, etwas nach bestem Wissen und Gewissen umzusetzen. Das zweite ist, dass wir mit relativ wenig Geld sehr viel umsetzen können. Sobald wir in den jeweiligen Einsatzgebieten ankommen, schauen wir auf dem lokalen Markt, was wir an preiswerten Materialien finden können. Folglich können wir mit sehr wenig Geld sehr große Projekte umsetzen.

Worin sehen Sie die Stärken der ingenieurwissenschaftlichen Profession für die Entwicklungszusammenarbeit?
Der Mitbegründer der Mikrobiologie Louis Pasteur sagte einmal, dass wir 90 % unserer Krankheiten trinken. Auf der ganzen Welt sind Durchfallerkrankungen ein Riesenproblem. Vor allem aber auch bei Kindern, älteren oder bereits kranken Menschen können starke und wiederkehrende Verläufe tödlich enden. Es ist eine Sache, eine medizinische Dienstleistung anzubieten und bereits erkrankte Menschen zu heilen. Es ist aber sehr viel leichter und preiswerter, den Ausbruch solcher Krankheiten gänzlich zu verhindern. Um das zu erreichen, wird wenig Equipment, aber eben viel Know-how benötigt. Es ist möglich, mit sehr geringem Geldeinsatz die Lebensqualität von Menschen massiv und dauerhaft zu steigern. Die Tatsache, dass in entwickelten Ländern Krankheiten wie Cholera, Tuberkulose oder die Pest praktisch nicht mehr vorkommen, hat einen konkreten Grund: Weil Ingenieure ihre Arbeit machen! Ich bin im Ahrtal-Einsatz oft zitiert worden mit den Worten „Man kann in wasserbürtige Krankheiten zwar mit Ärzten bekämpfen, aber nur mit Ingenieuren besiegen“. 

Auf welche Projekte blicken sie gerne und stolz zurück?
Ich blicke ganz besonders gerne auf unseren ältesten und dauerhaften Partner in Tansania zurück. Afrika ist der ärmste Kontinent auf der Welt und Tansania eines der ärmsten Länder in Afrika. Und der Distrikt Karagwe ist eine der ärmsten Gegenden in Tansania. Dort arbeiten wir zusammen mit einer lokalen NGO seit 2006. Seitdem hat die Gegend enorme Fortschritte gemacht. Trotzdem ist die Arbeit dort nie abgeschlossen, da wir immer neue Projekte finden.
Vor zwölf Jahren war ich selbst dort als Projektingenieur und im Jahr 2019 bin ich als Vorstandsvorsitzender zu einer Jubiläumsfeier angereist. Dann habe ich aus erster Hand erfahren, wie positiv sich die Gegend entwickelt hat und erst im Nachhinein festgestellt, dass ich ein Teil davon war. Und auch wenn dieses Projekt nicht abgeschlossen ist, ist die Transformation, die Karagwe in zwölf Jahren vollzogen hat, eine nachhaltige Verbesserung des Lebensstandards dort. Das war ganz toll zu sehen.
Natürlich haben wir auch Leuchtturmprojekte, zum Beispiel das Rising-Star-Schulprojekt in Simbabwe, wofür wir viele Preise erhalten haben, unter anderem auch für die Architektur. Darauf sind wir natürlich wahnsinnig stolz. Unser Ansatz ist es, enge Partnerschaften vor Ort zu schließen und dort so für nachhaltige Verbesserung zu sorgen.
 

Welchen Herausforderungen stand Ihre Organisation im vergangenen Jahr coronabedingt gegenüber?
Corona war ein großes Thema. Aber wir sind in der glücklichen Position gewesen, dass unsere Projekte weitergehen konnten. Durch langfristige und gute Partnerschaften mit lokalen NGOs und Organisationen konnten wir einen Stillstand der Projekte vermeiden. Über Fernbetreuung per Telefon- und Videokonferenzen konnten wir die Kommunikation aufrechterhalten sowie den finanziellen Support für unsere Partner sichern. Alles konnte also weitergehen, ohne dass wir jemanden in unsere Einsatzgebiete entsendet haben. Es war nie so geplant, dass wir irgendwann mal aus der Ferne Projekte steuern könnten, aber hier zahlte sich einmal mehr die enge Zusammenarbeit mit lokalen Organisationen aus. Wir hatten das kommunikative Netzwerk zu unseren lokalen Partnern schon im Vorhinein. Und das hat fantastisch geklappt. Natürlich nicht so gut, wie das im persönlichen Kontakt möglich gewesen wäre, aber wir mussten keine unserer Aktionen pausieren oder verschieben.
Eine daraus resultierende Veränderung ist, dass wir trotz Impfungen und PCR-Testungen nicht für Vorortbetreuungen ausreisten. Nicht ausschließlich, um uns selber zu schützen, sondern um nicht unbemerkt eine der Virus-Varianten in eine Gegend zu bringen, die vorher nicht belastet war. Unter dem Gesichtspunkt, dass die medizinische Versorgung sehr dürftig ist, haben wir ganz klar gesagt: Aktuell keine Auslandsreisen! Diese Verantwortung wollten wir nicht tragen. Wir müssen unsere Partner schützen. Trotzdem freuen wir uns natürlich darauf, in Zukunft auch wieder vor Ort die gemeinsame Arbeit fortzuführen. 
 

Welche Rolle spielen die erneuerbaren Energien in den Projekten?
Was das Thema erneuerbare Energien angeht, haben wir einiges zu bieten. Wir haben in der Vergangenheit Wasserturbinen entwickelt, die mit sehr einfachen Mitteln gebaut werden können und trotzdem sehr effizient sind. Natürlich haben wir Solarenergie zur Stromgewinnung für Schulen eingesetzt. Darüber hinaus machen wir uns viele Gedanken darüber, wie wir mithilfe unseres Wissens über erneuerbare Energien unseren CO₂-Ausstoß reduzieren können. Als Ingenieure und Ingenieurinnen haben wir im Verein auch hierzu Expertise und wollen dieses Know-how in unsere Projekte mit einfließen lassen.  

Auf welche Art können unsere Leser die Arbeit von Ingenieure ohne Grenzen unterstützen?
Die Möglichkeiten der Unterstützung sind vielfältig. Natürlich kann man Geld spenden und damit die Arbeit des Vereins unterstützen. Man kann aber auch als Firma Projektpartner werden und somit gezielt ein konkretes Projekt begleiten. Als Verein lebt die Arbeit aber in erster Linie auch von unseren ehrenamtlichen Mitgliedern, die sich selbst einbringen und uns tatkräftig unterstützen. Wir sind ein Verein wie jeder andere auch. Das heißt nicht, dass jeder, der bei uns Mitglied wird, automatisch ins Flugzeug steigt und Projekte umsetzen wird, sondern es gibt auch Vereinsarbeit in Deutschland zu tun. Da fallen viele Aufgaben in den Bereichen Marketing, Public Relations und Fundraising an. Zudem haben wir diverse Fachgruppen aus dem IT-Bereich, wo Spezialisten tätig sind, zumeist auch in dem Bereich ihr Geld verdienen. Diese sogenannten Kompetenzgruppen halten unsere digitale Infrastruktur aufrecht, was für die gesamte Arbeit des Vereins immens wichtig ist. Es gibt also viele Wege sich zu beteiligen und diese erfüllende Arbeit zu unterstützen oder auch selber tätig zu werden. Wir freuen uns über jegliches Engagement, das dabei hilft, die Lebenssituation der Menschen in unseren Projekten nachhaltig zu verbessern. 

Herr Saygin, wir bedanken uns für das spannende Interview und wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg. 
Sehr gerne! Vielen Dank nochmal für die Einladung.


Ingenieure ohne Grenzen e. V. wurde 2003 gegründet. 
Die Organisation führt weltweit, insbesondere im globalen Süden, zusammen mit lokalen Partnern Bauprojekte durch.

 

Weitere Informationen finden Sie unter 
www.ingenieure-ohne-grenzen.org


Ihre Spende hilft!
Die Arbeit von Ingenieure ohne Grenzen wäre ohne Spenden nicht 
möglich. Wie auch Sie helfen können, erfahren Sie hier: 
www.ingenieure-ohne-grenzen.org/de/spenden



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